Der Klient ist Ende 20, fit am PC und seit Beginn der Corona-Pandemie geübt im Umgang mit Homeoffice und Videokonferenzen. Da ist es doch nahe liegend, dass ihm eine Beratung per Video eher ins Konzept passt als das klassische Beratungsangebot vor Ort – also in meiner Praxis. Es kommt anders. Er möchte ein direktes Gespräch mit mir – von Mensch zu Mensch. Dass er dafür aktuell eine Maske tragen muss, nimmt er in Kauf. Seine Entscheidung freut mich.
Die Corona-Pandemie ist eine Zeit der digitalen Möglichkeiten. Im Beratungsbereich ist diese Entwicklung per se erst einmal weder gut noch schlecht. Faktisch gab es Telefon- und Video-Beratung auch schon vor Corona. Was sich verschoben hat, ist die Bewertung und damit der Stellenwert der einzelnen Beratungsformen. Wurde noch vor dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 eine Paarberatung per Video in Fachkreisen skeptisch beäugt, erscheint das Angebot heute salonfähig. Vor allem „junge Leute“, so heißt es, schätzen dieses moderne Angebot. Ich weiß nicht, ob das alles wirklich so stimmt … In diesem Artikel möchte ich Ihnen jedenfalls meine persönliche Beratungshitliste vorstellen.
Mein Favorit: das direkte Gespräch
Ich bin ein Fan des Gesprächs von Mensch zu Mensch. Ich liebe es, den Zwischentönen nachzuspüren, die im gesprochenen Wort, aber auch in Mimik, Gestik und Körperhaltung mitschwingen. Das Erfassen dieser Zwischentöne ist für mich eine Kunst und damit eine Begabung, die vor allem in der direkten Begegnung trainiert werden möchte. Denn es ist ja so, dass das Offensichtliche nicht den Weg zu einem Menschen weist, sondern das Verborgene. Dieses Verborgene ans Licht zu holen, also ins Bewusstsein zu heben und damit verfügbar zu machen, ist Aufgabe von Therapie und in milderer Form auch von Beratung. Weil dieses Hervorholen durchaus krisenhaft erlebt werden kann, ist therapeutisches Arbeiten in der Regel dem vertraulichen Praxisgespräch vorbehalten. Das ist auch gut so, denn Technik verstellt den direkten Blick auf mein Gegenüber. Und trotz ausgefeilter Verschlüsselungstechniken und umfänglicher Datenschutzbestimmungen können im digitalen Bereich nach wie vor Daten abgefangen werden.
Die solide Alternative: Telefonberatung
Telefonberatung ist mir vertraut. Ich arbeite seit einigen Jahren für den Krisendienst in meinem Landkreis und habe es gelernt, mich von der Stimme meines Gegenübers leiten zu lassen. Unsere seelische Verfassung lässt sich gut am Klang und Tonfall unserer Stimme erfassen. Praktische Voraussetzung dafür ist allerdings eine gute Verbindung. Deshalb telefoniere ich gern von Festnetz zu Festnetz. Es ist wesentlich für den Gesprächsverlauf, als Beraterin gut verstanden zu werden und den Anrufern emotional und inhaltlich folgen zu können. Und auch mein Gegenüber hat meine Worte klar zu verstehen, ansonsten besteht die Gefahr des Abbruchs. Sind die technischen Voraussetzungen erfüllt, gilt es für beide Seiten, einen angemessenen Rhythmus zwischen Sprechen und Zuhören zu finden. Kenne ich meine Klientin bereits aus der direkten Begegnung, fällt das Einstimmen leicht. Ist mir die Person noch fremd, höre ich erst einmal einige Minuten zu und gewinne einen inneren Eindruck von dem, was diesen Menschen bewegt.
Telefonberatung ist über Lautsprecher oder Telefonschaltung sogar mit Paaren möglich. Ich kenne eine Kollegin, die Paaren gern auf diesem Weg weiterhilft. Ich selbst habe inzwischen auch Paare telefonisch beraten und gute Erfahrungen damit gemacht. Dieses Setting ist ideal für Paare, die motiviert sind, vor allem zwischen den einzelnen Gesprächen an ihrer Beziehung zu arbeiten. Hier kann das Telefonat insbesondere der Reflexion dienen und damit der Vergewisserung, auf dem richtigen Weg zu sein. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang, dass ein Telefonat den Beratungsverlauf eher entschleunigt. Einfach deshalb, weil alle Beteiligten einander zuhören müssen, um nicht den Gesprächsfaden zu verlieren.
Der Blick in die Webcam: Videoberatung
Videoberatungen finde ich anstrengend – vor allem deshalb, weil ich mich dabei nicht so frei verhalten kann wie in meiner Praxis und am Telefon. Es ist also die Technik, die mir Mühe macht. Oder genauer: der Umstand, dass ich – um mein Gegenüber ansehen zu können – in die Webcam schauen muss. Schaue ich meinen Klienten ins Gesicht und damit auf den Bildschirm, sehen sie eine Beraterin mit chronisch leicht gesenktem Blick. Das sieht nicht nur putzig aus, sondern nimmt mir einen Teil meiner Präsenz.
Ich benötige stets etwas Zeit, um diese technische Hürde zu überwinden bzw. mich daran zu erinnern, dass diese Hürde überhaupt da ist. Nun gut, ich helfe mir damit, dass ich meine Klienten gleich zu Beratungsbeginn darauf anspreche und frage, ob sie sich gut von mir in den Blick genommen fühlen. Inzwischen gibt es gute, zertifizierte Videodienstanbieter, was die Kommunikation erleichtert. Meiner Erfahrung nach eignet sich Videoberatung gut für Einzelklienten und bedingt für Paare.
Bei Paaren horche ich im Vorgespräch deshalb besonders auf mein Bauchgefühl. Denn zwei Personen über die Webcam gut im Blick behalten zu können, empfinde ich als Herausforderung. Ich bin ja faktisch wirklich weiter weg als im direkten Gespräch. Das macht es mir schwerer, in kniffligen Situationen auf mich aufmerksam zu machen, die Zügel also in der Hand zu behalten. Sehr belastete und/oder zerstrittene Paaren sind deshalb besser in der Präsenzberatung aufgehoben. In meiner Praxis habe ich beide Partner besser im Blick und kann gezielter stabilisierend eingreifen – also die Wütenden besänftigen und die Stillen hervorlocken.
Nehmen Sie sich Ihren Raum für die Beratung
Abschließend bitte ich Sie, sich zu überlegen, wie Sie sich bei Bedarf Raum für eine Beratung nehmen möchten. Für viele Menschen ist ein Ortswechsel hilfreich. Vielleicht gehören Sie auch dazu. Indem Sie sich auf den Weg in meine Praxis machen, lassen sie für eine Stunde ihre gewohnte Umgebung hinter sich und betreten faktisch einen Raum, der nur Ihnen und mir vorbehalten ist. Das kann helfen, innerlich freier zu werden und sich intensiver mit der eigenen Problematik oder Fragestellung zu befassen. Wie hilfreich es sein kann, Sorgen, Schmerz und Kummer einem vertrauenswürdigen Menschen direkt erzählen zu können, merken wir oft, wenn wir diesen Schritt gewagt haben. Im Erzählen sortieren wir uns. Unsere Seele wird entlastet und wir gewinnen mehr innere Freiheit. Dieser Wandel wird an äußeren Veränderungen sichtbar. Genau hier liegt die große Chance des direkten Gesprächs.
Anderen Menschen fällt es leichter, sich in ihren eigenen vier Wänden einen ruhigen Raum zu nehmen. Manche haben auch keine andere Wahl, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht mobil sind oder ihre Wege zu lang sind. Vielleicht brauchen sie auch eine größere Distanz, um von sich erzählen zu können. Das gilt es, im Einzelfall zu klären. Die Welt ist ein Dorf, und für Beratungen per Video, Email und Telefon spielt Entfernung keine Rolle. Das wird auch nach Corona so bleiben – Hauptsache, die Technik stimmt.