von Nancy Nadja Sandmann
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09 März, 2023
In Balance zu bleiben, ist eine Kunst. Katzenfreunde staunen oft über die akrobatische Gelenkigkeit ihrer Vierbeiner. Und wir Menschen? Was brauchen wir, damit wir unser Gleichgewicht halten können? • Erst einmal sicherlich den passenden Körperbau (Katzen haben kein Schlüsselbein, wir schon) • dann ein gutes Körpergefühl • verbunden mit einem ausreichenden Maß an innerer Sammlung • dazu ein paar Trainingspartner, die zeigen, wie's geht • und schließlich ein Leben lang Zeit zum Üben • kurzum: die Freude am unterwegs sein. Nun gut, das ist der körperliche Part. Aber was braucht es nun, um das seelische Gleichgewicht zu halten? • Erst einmal sicherlich die passende seelische Verfasstheit (wir sind innerlich oft viel beweglicher als wir glauben) • und ein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse • verbunden mit einem ausreichenden Maß an innerer Sammlung • dazu ein paar Trainingspartner, die zeigen, wie's geht • und schließlich ein Leben lang Zeit zum Üben • kurzum: die Freude am unterwegs sein. Ja, Sie haben richtig gelesen. Einige Punkte wiederholen sich. Offensichtlich gibt es Überschneidungen bzw. ein Ineinandergreifen körperlicher und seelischer Balance. Das wird sicherlich etwas deutlicher, wenn ich nun die einzelnen Voraussetzungen seelischen Gleichgewichts betrachte. Die passende seelische Verfasstheit: Wer schon einmal eine Depression durchmachen musste, weiß, wie stark eine niedergedrückte Stimmung seelisches Erleben zum Erliegen bringen kann. Unverarbeitete schmerzhafte Erfahrungen dämpfen ebenfalls unser Erleben. Tiefe körperlich-geistige Erschöpfung nimmt auch die Kraft zum Fühlen. Festgefahrene Verhaltens- und Denkmuster engen unsere Wahrnehmung ein. Wir nehmen uns und die Welt nur noch aus festgezurrten Blickwinkeln ein. Das Leben wird fad und strengt zugleich über die Maßen an. Die gute Nachricht ist, dass wir innerlich viel beweglicher und damit lebendiger sind als wir glauben. Ein Beispiel: Erfahrenes Leid lässt sich nicht ungeschehen machen. Aber wir können unsere Haltung dazu betrachten und mit der Zeit gegebenenfalls lockern, damit sich festgehaltene Gefühle wandeln können. Ein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse: In Paarbeziehungen treffen zwei Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen direkt aufeinander. Das kann sich gut anfühlen, aber auch Reibungen verursachen. Kein Mensch wird stets so sein wie der/die Andere ihn gerade braucht. Ist ein Paar wirklich von Person zu Person verbunden, dann lernen beide, ihr Gegenüber als den Menschen zu nehmen, der er ist. Individuelle Bedürfnisse stehen auch nicht fest, sondern wandeln sich über die Jahre. Die Sexualität ist dafür ein besonders gutes Beispiel. Sie vereint Körper und Seele auf innige Weise und ist intimer Ausdruck eines Menschen. Wer Sexualität auf die Häufigkeit von Sex reduziert, läuft Gefahr, ihr die Tiefe zu nehmen. Sexuelle Bedürfnisse lassen sich ebenso wenig gleichschalten wie das Bedürfnis nach Autonomie oder das Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit. Leugnen wir unsere eigenen Bedürfnisse, um anderen zu gefallen oder weil der andere sie nicht sehen will, tun wir uns Leid an. Die eigenen echten Bedürfnisse zu erkennen und ernst zu nehmen, ist ein lebenslanges Tun. Es lohnt sich, die eigenen Bedürfnisse immer mal wieder zu prüfen, damit sie nicht in Ersatzbefriedigungen abgleiten. Hamsterkäufe beispielsweise machen das Haus voll, aber die Seele nicht satt. Ein ausreichendes Maß an innerer Sammlung: Wer bin ich? Wofür schlägt mein Herz? Wieso tue ich gerade dies und lasse gerade das? - In Augenblicken innerer Sammlung fragen wir uns genau das. Besonders in Krisen ist es hilfreich, sich Zeiten der Ruhe und Selbstbesinnung zu nehmen. Viele Menschen sehnen sich danach, mehr bei sich selbst zu sein. Dabei übersehen sie, dass nur die Person bei sich zuhause sein kann, die sich auch die Zeit für sich selbst nimmt. Ein zu eng getakteter Alltag produziert eher Hektik und bietet wenig Raum für Stille. Kommen wir gar nicht mehr zur Ruhe, ist unser Motor bereits heiß gelaufen. Mir ist das einmal vor vielen Jahren mit meinem Auto passiert. Ich hatte vergessen, Kühlwasser nachzufüllen. Gott sei Dank war eine Werkstatt in der Nähe. In der inneren Sammlung kühlen wir herunter, werden innerlich wieder weit und bringen uns zurück in die Gegenwart. Innere Sammlung hilft, wieder nach außen zu gehen und geerdete Entscheidungen zu treffen. Ein paar Trainingspartner, die zeigen, wie's geht: Schon im Mutterleib spüren wir die Gegenwart von Menschen, die es hoffentlich gut mit uns meinen. Damit meine ich keine fehlerlosen Menschen. Sondern Menschen, die aus ihren Erfahrungen lernen und vor allem ein warmes Herz haben. Menschen, die uns lieben und denen wir vertrauen können, sind ein Schatz. Oft erzählen mir Menschen von traurigen und schmerzhaften Kindheitserlebnissen. Fast ebenso oft tauchen beim Sprechen aber auch eine Oma, ein Opa oder ein guter Freund auf, die für uns da waren. Unser Herz merkt sich, wie es sich anfühlt, geliebt zu werden. Diese tiefe Erfahrung hilft uns später, die Menschen zu erkennen, die uns gut tun. Partnerschaften sind immer auch Lernräume. In der täglichen Begegnung haben sich Paare abzustimmen, manchmal muss jeder einmal zurückstecken um der gemeinsamen Sache willen. Dann wieder gilt es, den eigenen Standpunkt zu verteidigen. In jeder Lebenslage – vor allem wenn Kinder geboren werden – fordern Partner einander auf, seelisch zu wachsen. Das gilt natürlich auch für Menschen, die allein leben. Die allermeisten von uns haben hilfreiche Menschen um sich, die uns durch ihr Wort und ihr Dasein beistehen und damit unser seelisches Gleichgewicht stärken. Es lohnt sich, hier einmal in einer ruhigen Minute genauer hinzuschauen. Ein Leben lang Zeit zum Üben: Dieser Absatz wird kurz. - Wir Menschen bleiben bis ins hohe Alter lernfähig. Manchen gelingt es, mit dem Leben zu gehen, Überlebtes hinter sich zu lassen und offen zu bleiben für eine freundliche Begegnung. Wer solch einen lebendig gebliebenen Menschen in seiner Nachbarschaft, Familie oder im Freundeskreis hat, kann sich glücklich schätzen. Denn von ihm lässt sich viel lernen.