Erstgespräch. Das Paar sitzt mir gegenüber. Beide schauen mich an. Die Situation ist angespannt. Nach einer kleinen Weile bitte ich beide, mir zu erzählen, was sie denn herführt. Beide schweigen. „Naja“, meine ich mit einem kleinen Augenzwinkern, „es wäre schon hilfreich, wenn ich wüsste, weshalb Sie hier sind…“ Wieder Schweigen, dann ein kurzer Wortwechsel zwischen den beiden. „Du fängst an! Ich habe schon genug geredet!!“ – „Wieso ich?? Du wolltest doch hierher…!“ – Einem Paar, dem es so schlecht miteinander geht, fehlt im Erstgespräch der Nerv, seine Probleme benennen zu können, ohne sich dabei gleich in die Haare zu kriegen. Das Erarbeiten von Lösungsschritten, die im Alltag Bestand haben sollen, ist deshalb fast unmöglich. Das ist auch nicht Aufgabe des Erstgesprächs und deshalb erst einmal nicht schlimm.
Das erste Treffen dient vor allem dem Kennenlernen. Kommen Sie als Paar oder allein zu mir, sollten Sie vor allem auf ihr Bauchgefühl hören. Fühlen Sie sich wohl bei mir? Können Sie recht frei reden? Lasse ich Ihnen ausreichend Zeit? In aller Regel gibt es sehr viel zu erzählen. Und das ist auch gut so, denn Erzählen ordnet die Gedankengänge und entlastet zugleich emotional. Die allermeisten Menschen kommen zu mir, weil sie in einer akuten Krise feststecken und aus eigenem Vermögen erst einmal nicht mehr weiter wissen. Wir Menschen beruhigen uns, wenn wir den Eindruck haben, gehört zu werden. Das Erstgespräch dient also dazu, Ihre Klagen, Sorgen und Ängste aussprechen zu dürfen.
Wie helfen Sie sich selbst?
Zugleich gewinne ich einen Eindruck, in welcher Situation Sie stecken und wie belastend diese Situation erlebt wird. Konkret heißt das, ich schaue, ob Sie Ihren Alltag bewältigen können, sich also um Kinder, Haushalt und Beruf kümmern können. Ich frage auch nach, was Sie bisher getan oder gelassen haben, um sich etwas Luft und mehr Boden zu verschaffen. Haben Sie vielleicht schon konkrete Schritte in Richtung Problemlösung unternommen? Haben Sie vielleicht Tiere, um die Sie sich gern kümmern? Treiben Sie Sport? Nehmen Sie sich ausreichend Ruhe? – Wir Menschen entwickeln viele Strategien, die uns helfen, schwere Zeiten leichter durchzustehen. Und es ist gut, darum zu wissen, welche von ihnen hilfreich sind.
Wirkt ein Mensch im Erstgespräch sehr verzweifelt und deutet vielleicht an, dass alles keinen Sinn mehr macht, frage ich auch, ob er in letzter Zeit schon einmal daran gedacht hat, sich das Leben zu nehmen. Es ist wichtig, im Erstgespräch so direkt zu fragen. Denn gerade die Direktheit wirkt entlastend und hilft, einen genaueren Blick auf sich selber zu wagen. Die allermeisten Menschen können ihre seelische Verfassung dann differenzierter wahrnehmen und merken, dass der Gedanke, sich das Leben zu nehmen noch weit entfernt ist von dem Entschluss, dies auch zu tun. Und eben in diesem Erkennen liegt die Entlastung.
Um was geht es Ihnen?
Eine meiner weiteren Aufgaben im Erstgespräch ist, das wesentliche Anliegen der Klienten zu erfassen. Nehmen wir zum Beispiel einen Mann, der kurz zuvor von seiner Frau verlassen worden ist. Dieser Mann kann ganz verschiedene Anliegen haben: Er möchte seine Frau zurück haben, weiß aber nicht wie und ist am Boden zerstört. Oder er hat bereits verstanden, dass es für seine Frau kein Zurück mehr gibt und fragt sich nun, wie er mit dem Trennungsschmerz zurecht kommen soll. Oder er ist sogar fast erleichtert, dass seine Frau endlich gegangen ist. Die Beziehung war schon länger zerrüttet, und es fehlte ihm die Kraft zur Trennung. Nun möchte er lernen, selbstbewusster in die nächste Beziehung zu gehen.
Im Anliegen verborgen ist der Auftrag. Jede Beratung, jede Therapie braucht einen tragfähigen Auftrag und damit einen Rahmen, in dem sie sich entfalten kann. Es ist angebracht, schon im Erstgespräch danach zu fragen, denn der Auftrag ist der rote Faden, der durch die Stunden führt. Ich ermutige meine Klienten, ihren Auftrag so konkret wie möglich zu formulieren. Das Suchen nach den rechten Worten lenkt ihren Blick nach innen. Oft ist der Auftrag auch Prüfstein, an dem sich Fortschritte in Therapie und Beratung messen lassen. Und er hilft Ihnen, sich selbst klar zu werden, was Sie eigentlich bearbeiten möchten, das heißt er kann sich auch wandeln, sobald Sie neue Sichtweisen gewinnen.
Mut zum Blick auf die eigene Person
Der Wunsch, selbstbewusster in die nächste Beziehung zu gehen, ist beispielsweise ein guter Auftrag. An ihm wird deutlich, dass der Klient an sich arbeiten möchte und den Blick auf seine Person nicht scheut. Zugleich lässt er ausreichend Luft für kleine Zwischenschritte, für Etappen auf dem Weg. So mag es sein, dass der Klient erkennt, dass er zu hohe Ansprüche an seine Person stellt und deshalb eine Trennung für ihn nicht infrage kam. Darauf wäre er allein vielleicht nie gekommen, und nun kann er mit neuem Wissen weitergehen.
Kniffliger sind all die Aufträge, die diffus formuliert sind („Mir soll’s besser gehen…“) oder bei denen Klienten zu viel Verantwortung in meine Hände geben („Sagen Sie mir, was ich tun soll.“). Oder Aufträge, die sich auf eine dritte, abwesende Person beziehen („Was muss ich tun, damit meine Frau wieder zu mir zurück kommt?“). In diesen Fällen kann Ihnen das Erstgespräch eine Hilfe sein, die eigene Bereitschaft zu prüfen, sich ändern zu wollen. Es ist gut, sich zu prüfen, denn der Verlauf von Therapie und Beratung lässt sich nicht komplett kontrollieren – er hat stets etwas Ungewisses. Sie brauchen also etwas Mut und die Entschlossenheit, Ihre eigene Person, Ihr Wesen, betrachten zu wollen. Es ist Ihr eigenes Verhalten, dass Sie zwar nicht beliebig, aber doch ein gutes Stück weit ändern können. Genau daran können wir in Beratung und Therapie arbeiten. Ist hier der Groschen gefallen, können Sie Ihren Konflikt am Kragen packen.